underneath the grass would grow

"Nach dem Frühstück gleite ich von einer Hausarbeit in die nächste: Spülmaschine, Waschmaschine, Wäsche vom Vortag abnehmen, [...] Es ergibt sich, dass ich eine Schublade entrümple, und dann noch eine, und noch eine, vier sind es am Ende des Vormittags." - Fragmente
Es ergibt sich, diese Formulierung löst ein Wohlbehagen in mir aus, natürlich in Kombination mit dem Rest; weil ich mich erinnere, wie sich das anfühlt, weil ich das kenne - zu erkennen glaube. Entrümpeln, entstauben, Papiere ordnen, alte Dinge wiederfinden, immer wieder angestupst, angestoßen werden von Erinnerungen, und sich auch ganz willig anstupsen lassen, hin und her, ganz ohne Gewalt, ganz friedlich. Es ist ein Dahindümpeln der Gedanken, der Erinnerung, ein Loslassen des krampfhaften Effizienzdrucks, dem man einmal die Hand gab und der seitdem nie wieder losließ. Es ist ein Treibenlassen, im Schneidersitz auf dem Fußboden; man ist jung, verträumt und naiv in diesen Momenten, und man ist es gern. Geschehen lassen. Es ergab sich. Eine dünne Staubschicht, die sich ganz leicht, leicht pelzig auf die Zunge legt. Ein dünner Grauschleier. Feine Sandkörner. Vielleicht steht irgendwo eine vergessene Tasse kalten Tees. Das Selbst ist zerflossen, hat sich ausgebreitet wie eine träge Masse, träge und wohl, mit wabernder Schwere.

Diese Betrachtungen in der Retrospektive, darin liegt etwas Fesselndes, etwas Ungeheures. Vielleicht der Wechselwirkung wegen? Weil man doch die Vergangenheit ständig umbaut, neu deutet, mit neuer Erfahrung zu lesen lernt. Dort stand ich, und fühlte mich allein und verschämt und wollte rebellieren, und wusste nicht, wie. Hier stand ich, und hatte eine Vorstellung von der Liebe, von ihr als Konzept; das umfasste nicht mehr als eine große Begeisterung und den Wunsch, jemandem nah zu sein. 

Man vergisst sich und vergisst sich doch nicht, schließlich dreht sich alles ums Selbst; aber das Selbst auch um so vieles, das nicht Selbst ist!, all diese Erlebnisse, alles, was angesammelt wurde, empfunden, überwunden. Es ist wie: alte Wunden betrachten, mit einer gewissen Wehmut, beinahe als sehne man sich nach dem alten Schmerz, und bedauere, dass man nur ein schwaches Echo davon erinnert, ein Echo, das kaum noch zu hören ist, durch all die Schichten neuer Erlebnisse, durch den Filter des heutigen Kontexts. Durch das, was man weiß und damals nicht wusste, nicht wissen konnte. Gedämpft lauscht man diesem Echo (denn schließlich ist nicht das Echo als solches gedämpft), man lauscht und erinnert.  
 

take that dry blue pill

Wasser schlägt mir als Sprühregen ins Gesicht.

Es ist, als stünde ich auf einem kleinen Dampfer, nach langer Zeit an Deck getraut: nach draußen. An die Reling. Der Wind zerwirft mir die Haare. Nichts hält mehr, alles löst sich, entwindet sich, beinahe neckisch, und dabei die eigene, wachsende Alarmiertheit; wie sehe ich aus?, wie sehen mich die anderen; sogar das Lächeln verrutscht, verzerrt; alles flieht, alles entzieht sich dir. Retreat, der einzige Impuls, back to safety, der einzig vernünftige!; dieser Machtlosigkeit entfliehen, dem Bodenlosen. Diese Ohnmacht!, die so wahllos um sich greift, sich so unverschämt aufdrängt; die dich umzustülpen droht, innen nach außen, und dann sehen das alle, und DANN?

Aber – Wenn man nur einen Moment länger bleibt. Wenn man sich nur entscheidet, sich der Ohnmacht auszuliefern!, genau dieser Moment, in dem man sich ergibt, dem Zerren und Schwanken, dem Nassen, Unvorhergesehenen, dann - muss man lachen!, muss man einfach, es bricht heraus, dieses Lachen, und dann spürt man die Freiheit, die mit der Ohmacht kommt, die sich dahinter versteckt hat und dir jetzt zujubelt, die jubelt in deinem Bauch und du weißt, du bist echt in diesem Moment, echt, schonungslos echt, wahrhaftig und unverschleiert, und alle um dich herum sind ihr ebenfalls ausgesetzt, dieser Ohmacht; dem Fahrtwind und dem wilden Wasser, alle sind hier und du mittendrin, und alle gleich: machtlos, herrlich machtlos. 
 

bound by the other side

Ich habe dir nie gesagt – vielleicht, weil es mir nicht bewusst war – wie ich es empfinde, dass du rauchst und trinkst und betrunken vom Fahrrad fällst, und lachend wieder aufstehst und weiterfahren willst. Ich dachte, ich empfinde hauptsächlich Angst, Angst um dich, und die empfinde ich auch, aus reinem Egoismus: Angst davor, dich zu verlieren. Angst, dass du nicht mehr da sein könntest. Dann will ich dich schütteln, dir die Zigarette aus der Hand reißen und sagen, Lass das, bitte!, ich will, dass du lebst, so lang wie möglich, und so lang wie möglich Teil meines Lebens bist. Aber dann ist da noch eine andere Empfindung, und die kann ich erst jetzt benennen: Es ist eine Art Bewunderung, eine Hochachtung, I'm in awe of how you treat life, of how you feel that life can only be worth living if you can enjoy it, und das ist genau das, was ich mich nicht immer traue, nur manchmal, und meist mit Gewissensbissen, mit Vorsicht. 

Aber dann stehe ich am Balkon und habe mir eine halbe Zigarette zusammengebastelt, aus dem Paper von einem Joint und völlig vertrockneten Tabakkrümeln, und ich stehe da; der Wind reißt mir die improvisierte Kippe fast aus der Hand, aber ich fühle mich so frei, so losgelöst. Was will ich denn vom Leben anderes, als es zu erleben? Was soll ich denn damit, wenn mich nichts berühren kann, und ich mir nichts zu eigen mache?